Es kommt nicht oft vor, dass ein Schriftsteller mit nur einem Werk in die schwindelnden Höhen des Weltruhms katapultiert und so von Anfang an der Notwendigkeit seiner Selbstvermarktung enthoben wird. Jonathan Littell, gebürtiger US-Amerikaner und durch seine Einbürgerung vor einem Jahr zusätzlich Franzose, hat sein bisher einziges Interview im deutschsprachigen Raum dem Spiegel gegeben. Auf seinen voluminösen (1380 Seiten) und, muss man sagen, skandalösen Roman über den nationalsozialistischen Horror, "Die Wohlgesinnten", der 2006 auf Französisch und mittlerweile auch in siebenundzwanzig Übersetzungen erschien, reagierten Rezensenten und Leser entweder fasziniert oder angewidert. Ich las das Buch in einem Zug durch.
Also würde ich, so dachte ich, dem scheuen Autor, gelänge es mir, ihn für ein Gespräch zu gewinnen, nichts vorlügen müssen. Als ich Delf Schmidt, dem Cheflektor des Berlin-Verlags, mein Anliegen vortrug, sagte er gleich: "Unmöglich!" Nun begann die Verführung. Ich schickte Littell mein Interview mit dem Nazi-Bildhauer Arno Breker und schrieb ihm, ich hätte auch schon mit Elias Canetti, den er schätzt, und Ernst Jünger, der in seinem Buch vorkommt, gesprochen. Immerhin wollte er mich nun kennen lernen.
Die Gelegenheit dazu ergab sich anlässlich einer Podiumsdiskussion in Berlin, die der Star geduldig wie ein Schüler, der gehorcht, absolvierte. "Ich bin ein guter Deutscher", sagte er mir tags darauf beim gemeinsamen Lunch in einem italienischen Restaurant, zu dem er nach durchzechter Nacht etwas verkatert erschien. Angereiste Journalisten hatte er sich, wie später zu lesen war, während des offiziösen Abendessens nach der Diskussion mit Ellbogenstößen vom Leib gehalten. Das Fernsehen und Fotografen waren nicht zugelassen.
Mir saß er nun gegenüber, dieser bleiche, vierzigjährige Jüngling mit Ohrring und fahlem Blick, dem man die Leidenschaft, die in ihm lodert, nicht ansieht. Wie schon abends zuvor trug er unter dem Sommeranzug ein T-Shirt mit dem berühmten Spruch aus Melvilles Erzählung "Bartleby": "I would prefer not to". Seine geradezu schamlose Offenheit überraschte mich. Sogar eine Tonbandaufzeichnung erlaubte er. Delf Schmidt, der, von gelegentlichen Lachkrämpfen geschüttelt, daneben saß, rief in regelmäßigen Abständen das Wort "absurd" in den Mittagshimmel.
Unsere Unterhaltung, die wir auf Englisch führten, Littells erster Muttersprache, dauerte knapp zwei Stunden. Bevor er in das Taxi stieg, das ihn zum Flughafen brachte, rief mir der Schriftsteller noch zu, ich könne ihn zur Fortsetzung des Gesprächs in Barcelona, wo er wohnt, angeblich um dem Rummel um seine Person zu entgehen, gerne besuchen. Aber es war genug.
Sie hassen Interviews.
Ja, man soll mein Buch lesen, das genügt. Wer sich für einen Schriftsteller interessiert, weil er sein Buch liebt, kommt mir vor wie jemand, der sich für Enten interessiert, nur weil er gern Stopfleber isst. Es ist Unsinn.
Sie sind mit einem einzigen Buch zum Star der internationalen Literaturszene geworden.
Genau das ist das Problem. Ich weigere mich, ein Star zu sein. Ich interessiere mich für andere Menschen, aber ich hasse es, über mich zu sprechen. Mein schwedischer Verleger hat mir einen langen Brief geschrieben, in dem er mich bat, nach Schweden zu kommen, um Interviews zu geben, damit er mein Buch besser verkaufen kann. Ich habe das abgelehnt.
Sie haben auch 2006 den Prix Goncourt, den renommiertesten französischen Literaturpreis, abgelehnt.
Nein, den kann man nicht ablehnen. Ich bin nur nicht zur Verleihung gegangen.
Der Preis ist mit zehn Euro dotiert, kein großer Verlust.
Auf die zehn Euro warte ich noch immer vergeblich. Ich habe darum gebeten, mir den Scheck zuzuschicken. Aber bis heute habe ich ihn nicht bekommen. Als Julien Gracq 1951 den Prix Goncourt zurückwies, sagte die Jury, fuck you, und hat ihn ihm trotzdem verliehen. Ich finde alle Literaturpreise grotesk und lächerlich.
Sie haben das damit begründet, dass solche Preise viel mit Marketing, aber nichts mit Kunst zu tun hätten. Sie wollten in keinen Wettkampf mit anderen Schriftstellern treten.
Ich habe für meinen französischen Verlag eine Erklärung verfasst, da stand auch noch anderes drin. Der Verleger hat aus dem Text nur die Stellen veröffentlicht, die ihm angenehm waren, das andere hat er weggelassen.
Würden Sie den Nobelpreis annehmen, der Ihnen über eine Million einbrächte?
Nein, denn ich habe jetzt genug Geld.
Genug für das ganze Leben?
Ja, absolut. Ich habe mein Geld gut angelegt. Ich habe vorgesorgt.
Das bedeutet, Sie bräuchten nichts mehr zu schreiben?
Im Prinzip nicht. Ich lebe sehr bescheiden. Ich brauche nicht viel. Aber seit ich berühmt bin, kann ich mit jeder Zeile Geld verdienen, sogar wenn ich etwas so Dummes veröffentliche wie meinen Essay "Le sec et l'humide", "Das Trockene und das Feuchte", den ich vor meinem Roman geschrieben habe. Ich profitiere von meinem Ruhm, aber ich hasse ihn. Vor sechs Monaten habe ich zu meinem Agenten gesagt, ich werde eine "Endlösung", wie es auf Deutsch heißt, für meine Berühmtheit finden. Er fragte mich, was ich damit meine. Ich antwortete, das werde er schon noch sehen.
Ein guter Anfang wäre es, würden Sie aufhören, öffentlich aufzutreten wie kürzlich anlässlich einer Berliner Podiumsdiskussion, bei der Sie sich von Historikern befragen ließen.
Das werde ich tun. Man hat mich mit viel Überredungskunst zu diesem Auftritt verleitet. Es war schrecklich. Man wiederholt sich dauernd. Eine Zeit lang fand ich es ganz akzeptabel, Kompromisse zu machen. Ich wollte nicht als jemand erscheinen, der sich versteckt wie Pynchon. Ich bin kein Einsiedler. Ich will nur nicht mit diesen langweiligen Leuten reden.
Ihr Kollege Houellebecq zog sich aus der Affäre, indem er für die Öffentlichkeit eine falsche Biografie erfand.
Das möchte ich nicht. Ich will nicht mit meiner Berühmtheit spielen. Mögen Sie Houellebecq?
Im Gespräch ist er recht amüsant und sehr fatalistisch.
Gefällt Ihnen, was er schreibt?
"Elementarteilchen" fand ich interessant. Und Sie?
Ich habe noch nichts von ihm gelesen.
Ihr Lieblingsautor ist Flaubert, richtig?
Einer meiner Lieblingsautoren. Flaubert ist wahrscheinlich der Autor, der mir das größte Vergnügen bereitet. Wenn ich ihn lese, denke ich, uuaahh, diese pure Schönheit des Stoffes! Wer ist Ihr Lieblingsautor?
Proust.
Mit Proust wird es mir ergehen wie mit Flaubert, uuaahh. Den habe ich mir aufgespart für Regentage.
Was Sie mit Houellebecq verbindet, ist die Betonung des Sexuellen.
Darüber können wir gerne reden, solange es nicht persönlich wird.