CARENTINUS, vierter überlieferter Bischof von Köln (Agrip[p]ina Colonia). Hier bekleidete er wahrscheinlich im mittleren Drittel des 6. Jhs. das Bischofsamt; genauere Lebensdaten sind nicht bekannt. Nach der letzten Erwähnung eines Kölner Bischofs zu spätrömischer Zeit (Severin, s. d.) ist etwa 150 Jahre später Carentinus als Bauherr im Zusammenhang mit der Neuausstattung bzw. dem Bau von Kirchen genannt (Ven. Fort., carm. III, 14. MGH AA IV, S. 67f) und damit der erste bekannte merowingerzeitliche Bischof der Stadt. Die Lücke am Beginn des Frühmittelalters in der historischen Überlieferung ist für das Rheinland durchaus typisch und entspricht auch weitgehend dem Fehlen christlich zu deutender archäologischer Funde bzw. Baubefunde aus dem 5. Jh. (G. Ristow; Brink). Man kann die Überlieferungslage dahingehend deuten, daß die christliche Romanitas in dieser Zeit an Einfluß, Bedeutung und Organisationskraft verlor (dazu auch die Beschreibung der Zustände in Köln aus der Mitte des 5. Jhs. bei Salvian, ep. I, 5f. SC 176, ed. Georges Lagarrigue [Paris 1971] S. 78f., Übersetzung s. G. Ristow S. 166). Demnach könnte das Rheinland im 6. Jh. zusammen mit der Christianisierung der fränkischen Oberschicht im Herrschaftsbereich Chlodwigs neu missioniert worden sein. Noch um 520 ist für Köln ein in Funktion befindliches paganes Heiligtum überliefert (Greg. Tur., Vit. patr. VI, 2. MGH SRM I, 2, S. 231; Übersetzung s. G. Ristow S. 166). Wahrscheinlich erfolgte zur Zeit des Carentinus eine weitgehende Neuordnung der rheinischen Bistümer (Semmler S. 835f; Weidemann bes. S. 292). Der Dichter Venantius Fortunatus berichtet für die Zeit um 565 bis 567 über Carentinus folgendes: "Goldenen Kirchen gabst neue Pracht du und stattliche Stützen; Du strahlst selbst und gibst Glanz dem Hause des Herrn. Und damit größere Scharen von Gläubigen fassen die Kirchen, Werden in schwebender Höh' Säulenemporen gebaut" (Quelle s. o., Übersetzung nach Doppelfeld S. 82). Einerseits verwendet der Dichter ähnliche Sätze auch für den anschließend in seinem Werk genannten Bischof von Reims, so daß es sich hier möglicherweise um einen Topos handelt. Andererseits deckt sich die Datierung der Erwähnung von Bischof Carentinus als Bauherr mit in Köln feststellbarer kirchlicher Bautätigkeit. So ist der erste eindeutig als Kirche identifizierbare Bau unter dem Kölner Dom in der 2. Hälfte des 6. Jhs. über älteren Resten neu errichtet worden (Bau 3, dazu S. Ristow). Eventuell ist die Nennung von "aurea templa" auf den ursprünglich wahrscheinlich profanen Memorialbau von St. Gereon aus der 2. Hälfte des 4. Jhs. zu beziehen. Dieser wird von Gregor von Tours (s. d.), wohl nach der (spätantiken) Ausstattung mit goldenen bzw. goldgrundigen Mosaiken, als "Basilica Sanctos Aureos" bezeichnet und war demnach spätestens seit dem letzten Jahrzehnt des 6. Jhs. als Kirche in Benutzung (Greg. Tur., In gloria martyrum LXI. MGH SRM I, 2, S. 80; Übersetzung s. G. Ristow S. 167; Deckers S. 122). Bautätigkeit kann für St. Gereon zu dieser Zeit jedoch archäologisch nicht nachgewiesen werden. Weitere Informationen zu Leben und Werk des Carentinus sind nicht bekannt. Denkbar ist, daß der bisher nicht identifizierte Bischof "Clarentius", der auf dem Konzil von Orléans im Jahre 533 unterschrieben hat (Conc. Mer. 1. SC 353, ed. Jean Gaudemet / Brigitte Basdevant [Paris 1989] S. 204), mit ihm gleichgesetzt werden kann (so Weidemann S. 292). Demnach wäre Carentinus im mittleren Drittel des 6. Jhs., in der Zeit des wiedererstarkenden Christentums am Rhein, Bischof gewesen. Um so unerklärlicher ist es, weshalb seine Person keinen nennenswerten Eingang in die Kirchenkunst oder als Patron gefunden hat.
Lit.: Wilhelm Neuß, Die Anfänge des Christentums im Rheinlande. In: Rheinische Neujahrsblätter 2, Bonn 19332; - Jakob Torsy, Studien zur Frühgeschichte der Kölner Kirche. In: Kölner Domblatt 8/9, 1954, 9-32; - Friedrich Wilhelm Oediger, Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter, Bd. 1: 313-1099. Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 21, Bonn 1954-61, 16; - Ders., Das Bistum Köln von den Anfängen bis zum Ende des 12. Jahrhunderts. Geschichte des Erzbistums Köln, Bd. 1, Köln 19722, 75f; - Otto Doppelfeld, Quellen zur Geschichte Kölns in römischer und fränkischer Zeit. Ausgewählte Quellen zur Kölner Stadtgeschichte 1, Köln 1958; - Nancy Gauthier, L'évangélisation des pays de la Moselle. La province romaine de Première Belgique entre Antiquité et Moyen-Age (IIIe-VIIIe siècle), Paris 1980; - Günter Ristow, Römischer Götterhimmel und frühes Christentum. Bilder zur Frühzeit der Kölner Religions- und Kirchengeschichte, Köln 1980; - Stefan Weinfurter, Colonia (Köln). In: Series episcoporum ecclesiae catholicae occidentalis ab initio usque ad annum MCXCVIII, Bd. 5,1: Germania. Archiepiscopatus Coloniensis, bearbeitet v. Odilo Engels/Stefan Weinfurter, Stuttgart 1982, 3-42, hier S. 8f; - Josef Semmler, Mission und Pfarrorganisation in den rheinischen, mosel- und maasländischen Bistümern (5.-10. Jahrhundert). In: Cristianizzazione ed organizzazione ecclesiastica delle campagne nell'Alto Medioevo. Espansione e resistenze, 10.-16.4.1980. Settimane di studio del Centro Italiano di Studi sull'Alto Medioevo 28, Spoleto 1982, 813-888; - Johannes G. Deckers, St. Gereon in Köln - Ausgrabungen 1978/79. Neue Befunde zu Gestalt und Funktion des spätantiken Zentralbaus. In: Jahrbuch für Antike und Christentum 25, 1982, 102-131; - Margarete Weidemann, Die kirchliche Organisation der Provinzen Belgica und Germania vom 4. bis zum 7. Jahrhundert. In: Willibrord, zijn wereld en zijn werk. Voordrachten gehouden tijdens het Willibrordcongres Nijmegen, 28-30 september 1989, hrsg. v. Petty Bange/ Anton Gerard Weiler. Middeleeuwse Studies 6, Nijmegen 1990, 286-316; - Ernst Dassmann, Die Anfänge der Kirche in Deutschland. Urban Taschenbücher 444, Stuttgart 1993, 116; - Josef Kremer, Studien zum frühen Christentum in Niedergermanien. Diss. Bonn 1993, 146; - Fenny Brink, Die Anfänge des Christentums in Trier, Köln und Mainz. Trierer Zeitschrift 60, 1997, 229-254; - Sebastian Ristow, Die frühen Kirchen unter dem Kölner Dom. Befunde und Funde vom 4. Jahrhundert bis zur Bauzeit des Alten Domes. Studien zum Kölner Dom 9, Köln 2002.