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Verlag Traugott Bautzwww.bautz.de/bbkl
Band III (1992) Spalten 452-457 Autor: Hans-Josef Olszewsky

JOHANNES DE LAPIDE, OCart, Vertreter des deutschen Frühhumanismus am Oberrhein und bedeutender Prediger, * um 1430 in Stein (nördlich von Pforzheim), + 12.3. 1496 in Basel. - Der Familienname des J. wird meist mit Heynlin angegeben, doch kommen eine Reihe weiterer Schreibformen des Namens vor: Heynlein, Henelyn, Henlin, Hélin, Hemlin, Hegelin, Lapierre, de la Pierre, Steinlin, Lapidanus. - Seine Studien begann J. in Erfurt (1446-1448) und Leipzig (1448-1452); dort erwarb er Ende September 1450 das Baccalaureat in den Artes. Das überzeugende Auftreten des Wanderpredigers Johannes von Capestrano (s.d.) veranlaßte J. vermutlich zum Studium der Theologie. Er begab sich zunächst nach Löwen (1453), damals ein Zentrum des Realismus, und ging dann zum Weiterstudium ab Herbst 1453 nach Paris. Im Jahre 1455 wurde er dort Magister der Artes, 1462 Baccalaureus der Theologie. Von 1456 an war J. zwölfmal Prokurator der deutschen Nation, 1458/59 Rezeptor. An der Artistenfakultät hielt J. Vorlesungen über Aristoteles, Porphyrios und Gilbert de la Porrée und verfaßte Kommentare zu einzelnen Werken dieser Autoren, die er aber erst 1495 drucken ließ. Als Lehrer des J. in Paris verdienen besondere Erwähnung Lucas Desmoulin, Thomas von Courcelles und Petrus de Vancello. Zudem verkehrte er im Humanistenkreis um Gregorio Tifernas. Freunde waren u. a. Guillaume Fichet und Johannes Vergenhans Nauclerus, der spätere Kanzler der Universität Tübingen. Als Schüler sind v. a. Geiler von Kaysersberg, Matthias von Gengenbach und Ulrich Surgant, später noch Johannes Reuchlin, Rudolf Agricola, Johannes Wessel Gansfort und Johann Amerbach zu nennen. Im Jahre 1464 verließ J. für einige Zeit Paris, um in Basel am Aufbau der 1459 vom Papst Pius II. gegründeten Universität mitzuwirken. An der Formulierung der Statuten der Artistenfakultät war er maßgeblich beteiligt. Dabei war es ihm ein Anliegen, die via antiqua gegenüber der via moderna als gleichberechtigte Lehrmethode durchzusetzen. Für die Zeit von 1465-1467 fehlen eindeutige Lebenszeugnisse, doch gilt es als wahrscheinlich, daß sich J. in Mainz in der Gutenberg-Fust-Schöfferschen Offizin aufhielt, um sich der Herausgabe von Büchern zu widmen. Seit 1467 war er wieder in Paris, wo er Vorlesungen über die Sentenzen hielt. In den Jahren 1468 und 1470 war er Prior, 1469 Rektor der Sorbonne. Im Streit um den Löwener Theologen Heinrich von Zoemern gehörte J. zu den 24 Professoren der Pariser Universität, die sich für die Beibehaltung der via antiqua ausgesprochen hatten (1471). Dieses Gutachten führte u. a. zu dem am 1.3. 1473 durch den französischen König Ludwig XI. ausgesprochenen Verbot nominalistischer Lehre, das allerdings zehn Jahre später wieder aufgehoben wurde. J. erwarb am 15.2. 1472 das Lizentiat, am 12.10. des gleichen Jahres das Doktorat der Theologie. Zusammen mit seinem Freund Fichet betrieb er in Paris eine private Druckerei, in der sie v. a. Werke antiker Autoren (Cicero, Sallust, Valerius Maximus) und von Humanisten (Laurentius Valla, Kardinal Bessarion, Fichet) veröffentlichten. Diese Druckerei bestand von 1472-1474 und gehörte zu den frühesten Druckereien in Paris. Im Jahre 1474 ging J. wieder nach Basel und wirkte dort als Prediger zunächst an der Kirche St. Theodor, dann an St. Peter, schließlich bei den Augustiner-Chorherren (Windesheimer Kapitel) an St. Leonhard. Er wandte sich zunehmend vom wissenschaftlichen Betrieb ab, um v. a. durch volkstümlich gehaltene Predigten auf eine innere Reform der Kirche und eine sittliche Besserung der Menschen hinzuarbeiten. Die Beziehung zu den Augustinermönchen dürfte dabei nicht ohne Einfluß auf seine diesbezügliche Entwicklung gewesen sein. In den Jahren 1476, 1478 und 1480 trat J. als Ablaßprediger in Bern auf, ohne sich allerdings fester an diese Stadt binden zu lassen. 1477/78 vertrat er etwa ein Jahr lang den durch Krankheit verhinderten W. Textoris als Prediger am Basler Münster. Durch den Einfluß seines Freundes Nauclerus und einem Ruf des Grafen Eberhard im Bart folgend ging J. 1478 nach Tübingen, um dort am Aufbau der ein Jahr zuvor gegründeten Universität mitzuwirken. Vom Oktober 1478 bis Mai 1479 war er Rektor der Universität, verließ diese aber schon kurze Zeit später, um, dem Wunsche des Markgrafen Christoph von Baden folgend, eine Stelle als Kustos und Thesaurarius am Chorherrenstift in Baden-Baden anzunehmen. Dazu gehörte auch die Seelsorge im Zisterzienserinnenkloster Lichtental. Während seines Aufenthaltes in Baden-Baden entstanden freundschaftliche Beziehungen zum Humanistenkreis am Oberrhein, besonders zu Hochberg, Molitoris und Schott. Im Jahre 1484 kehrte J. nach Basel zurück und wurde Prediger am Münster. Hier verstärkten sich die Beziehungen zu den Humanisten, nun v. a. zu seinem früheren Schüler Johann Amerbach, in dessen Druckerei er als Herausgeber und Berater mitwirkte. Im Unterschied zu seiner Verlegertätigkeit in Paris, wo er vorwiegend philosophische Werke zum Druck befördert hatte, wandte er sich nun hauptsächlich Werken des religiösen Schrifttums zu. Neben Ausgaben der Bibel, die er betreute, wirkte er als Herausgeber von Schriften der Kirchenväter (bes. Ambrosius und Augustinus) und veranstaltete eine Ausgabe von Predigten Meffrets, zu der er eigens eine Vorrede (Premonitio circa sermones de conceptione gloriose virginis Marie) verfaßte. Gegen Ende seines Lebens ist bei J. eine Vertiefung der religiösen Gesinnung, verbunden mit mystischen Elementen, festzustellen. Eine Folge davon war der Eintritt in das Karthäuserkloster St. Margaretental in Basel am 15.8. 1487. Der Bibliothek dieses Klosters schenkte er seine wertvolle Sammlung von 283 Büchern. Auch in der Abgeschiedenheit des Klosterlebens setzte J. seine vielfältigen Interessen fort, was die Eifersucht des Priors Jakob Lauber zur Folge hatte. Hier entstand sein meistverbreitetes Werk, das »Resolutorium dubiorum circa celebrationem missarum occurentium« für den Klerus, das seit 1492 mehrere Auflagen erlebte. - In seinem Denken steht J. noch fest auf dem Boden der mittelalterlichen Theologie. Gleichwohl erkannte er die Vorzüge der durch den Humanismus vermittelten neuen Weltanschauung und wurde so durch seine Vermittlerposition zwischen via antiqua und via moderna zu einem der Wegbereiter des Humanismus in Deutschland. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ist sein Wirken als Prediger von besonderer Bedeutung. In Basel haben sich 1410 von ihm verfaßte Predigten handschriftlich erhalten. Diese sind zwar in lateinischer Sprache geschrieben, doch darf man davon ausgehen, daß J. auf deutsch gepredigt hat. Der Aufbau seiner Predigten ist einfach. Nach einem meist gereimten Spruch, der die Hauptgedanken der jeweiligen Predigt kurz und prägnant zusammenfaßt, folgen Begrüßung des Volkes oder ein kurzes Gebet und die Anrufung des göttlichen Beistandes. Im Zentrum der Predigt stehen dann die Wiederholung der Schriftlesung in deutscher Sprache, meist frei und deren Auslegung. Charakteristisch für J. sind die Verwendung von Rätseln und Anekdoten, Anspielungen auf Bräuche und bekannte Vorgänge in der Stadt, Gestaltung einzelner Abschnitte in Dialogform und das Erzählen bilderreicher Gleichnisse. Die Predigten J.s zielen auf eine moralische Besserung des Volkes, die er durch Warnungen und Verheißungen zu erreichen sucht und die für ihn Teil der Reform der Kirche insgesamt ist.

Werke: Compendiosus de arte punctandi dialogus, in: Orthographia Clarissimi Oratoris Gasparini Bergomensis, 1470; Premonitio circa sermones de conceptione gloriose virginis Marie, in: Meffret, Sermones de tempore et de sanctis, 1488; Resolutorium dubiorum circa celebrationem missarum occurentium, 1492; Libri artis logicae Porphyrii et Aristotelis c. commento J. (Kommentare zu Werken des Aristoteles, Gilbert de la Porrée, Porphyrios), 1495; Zahlreiche unveröff. Manuskripte in der Universitätsbibliothek Basel.

Lit.: Johannes Trithemius, De scriptoribus ecclesiasticis, 1494; - Adumbratio eruditorum Basiliensium, 1780, 101-105; - Friedrich Fischer, JH, 1851; - Wilhelm Vischer, JH, genannt a Lapide, akad. Vortrag, Basel, 1851; - Ders., Gesch. d. Univ. Basel, 1860, 143 f.; - F. Zarncke (Hrsg.), Sebastian Brants Narrenschiff, 1854, XVI-XXI; - C. Prantl, Gesch. der Logik im Abendlande IV, 1870, 229 f.; - Ch. Schmidt, Histoire littéraire de l'Alsace à la fin du XVe siècle et au commencement du XVIe siècle I, 1879, 194; - J. Philippe, Origine de l'imprimerie à Paris, 1885; - Ders., Guillaume Fichet, 1892, 82-94; - Carl Christoph Bernoulli, Basels Klosterbibliotheken, in: Basler Jb., 1895; - Joh. Bernoulli, Die Kirchengemeinden Basels vor der Reformation, ebd.; - Denifle/Chatelain, Auctarium Chartularii Universitatis Parisiensis. Liber receptarum nationis Alemanniae II, 1897, 903. 907. 913. 916. 917. 921; - P. Feret, La faculté de théologie de Paris et ses docteurs les plus celèbres IV, 1897, 162-164; - J. Hürbin, Peter von Andlau, 1897; - A. Claudin, The first Paris press. An account of the books printed for G. Fichet and JH. in the Sorbonne 1470-72, 1898, 35-37; - A. Franz, Die Messe im dt. MA, 1902, 558 f.; - P. Champion, Les plus anciens monuments de la typographie parisienne, 1904, 1. 2. 50. 59. 86; - Heinrich Hermelink, Die theol. Fakultät in Tübingen vor der Reformation 1477-1534, 1906, 191 ff.; - Ders., Die Matrikeln der Universität Tübingen I, 1906, 21 f.; - M. Hoßfeld, J. aus Stein, in: Basler Zeitschr. für Gesch. und Altertumskunde VI, 1907, 309-356; VII, 1908. 79-219. 235-431; - Ders., Der »Compendiosus dialogus de arte punctandi« und sein Verfasser JH., in: ZBlfBibl XXV, 1908, 161-165; - Johannes Haller, Die Anfänge der Universität Tübingen I, 1927, 19-25. 129 ff.; II, 1929, 5 ff.. 43 ff.; - E. Stolz, Die Patrone der Universität Tübingen und ihrer Fakultäten, in: ThQ CVIII, 1927, 9-11. 37-49; - H. v. Greyerz, Ablaßpredigten des JH., in: Archiv des Historischen Vereins des Kantons Bern XXXII, 1933, 113-171; - Ders., Studien zur Kulturgesch. der Stadt Bern, in: Archiv des historischen Vereins des Kantons Bern XXXV, 1940, 177 ff.; - M. Burckhardt, J., in: Schweizer Sammler XVI, 1942, 29 ff., - O. Trost, Der Geburtsort des J., in: ZGORh NF LV, 1942; - F. Landmann, Zur Gesch. der oberelsässischen Predigt in der Jugendzeit Geilers von Kaysersberg, in: Archives de l'Église d'Alsace N.S. I, 1946; II, 1947/48; III, 1949/50; - Matrikeln der Universität Basel I, 1951; - F. Luchsinger, Der Basler Buchdruck als Vermittler italienischen Geistes, in: Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft XLV, 1953, 11 ff.; - J. Monfrin, Les lectures de G. Fichet et de JH. d'après le registre de Prêt de la Bibl. de la Sorbonne, in: Bibl. d'Humanisme et Renaissance XVII, 1955,7-23. 145-153; - Edgar Bonjour, Die Universität Basel von den Anfängen bis zur Gegenwart, 1960, 66 ff.; - F. Sander, JH. von Stein, in: Pforzheimer Geschichtsblätter I, 1961; - Jöcher II, 2276; - ADB XII, 379; - NDB IX, 98-100; - VerfLex II, 434-440; V, 409 f.; - DThC VI, 2354-2358; - LThK 2V, 1055; - RE VIII, 36-38; - RGG 3III, 311 f.

Hans-Josef Olszewsky

Letzte Änderung: 09.06.1998