15.04.0
Vor 50 Jahren
Der 15. April 1950. Vertriebene finden eine neue Heimat in Rheinland-Pfalz.
Am 15. April 1950 traf ein Transport mit Vertriebenen in Rheinland-Pfalz ein. Diese 439 Personen waren die ersten von insgesamt 126.000 Menschen, die in den Jahren 1950 bis 1955 in Rheinland-Pfalz eine neue Heimat gefunden haben. Mit einer umfassenden Abschottungspolitik hatte sich die französische Besatzungszone bis 1949 geweigert, einen angemessenen Beitrag zur Lösung der Vertriebenenproblematik zu leisten. Erst der wachsende Druck der Westmächte und die Verabschiedung des Grundgesetzes führten zu einem Einlenken. Die Umsiedlung nach Rheinland-Pfalz entlastete die besonders stark betroffenen Bundesländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern. Obwohl die Aufnahme der Umsiedler in dem immer noch schwer unter den Kriegsfolgen leidenden Land zu zahlreichen Problemen führte, gelang die Integration der Neubürger.
Am 15. April 1950 traf der erste Transport mit 439 Vertriebenen bestehend aus elf Personenwagen und 23 Güterwagen in Landau ein. Diese erste Gruppe der insgesamt 90000 Personen, die im Laufe des Jahres 1950 nach Rheinland-Pfalz umgesiedelt wurden, waren der vorläufige Schlußpunkt einer langjährigen Diskussion über die Beteiligung der einzelnen Besatzungszonen an der Vertriebenenproblematik.
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Rheinland-Pfalz ist abgesehen vom Saarland, das erst 1957 zu einem Teil der Bundesrepublik Deutschland wurde, das Bundesland, das die geringste Anzahl Vertriebener aufgenommen hat. Die Flüchtlingswelle des Jahres 1945, die sich insbesondere von Ost- und Westpreußen, Pommern und Schlesien nach Westen bewegte, hatte die französische Zone nicht berührt. Darüber hinaus weigerte sich Frankreich bereits seit dem Sommer 1945, Vertriebenentransporte in seine Zone aufzunehmen. Frankreich, das an der Potsdamer Konferenz, auf der die Vertreibung der Ostdeutschen beschlossen worden war, nicht teilgenommen hatte und sich dementsprechend für die Folgen nicht verantwortlich fühlte, befürchtete eine nicht mehr tragbare Belastung seiner sehr stark unter den Kriegsfolgen leidenden Zone.
Die Abschottungspolitik, die die Franzosen in den folgenden Jahren in ihrer Zone betrieben und die nur durch einen gewünschten und streng kontrollierten Zuzug von benötigten Arbeitskräften durchbrochen wurde, führte bei den übrigen Besatzungsmächten zu intensiven Protesten. Mit der Aufnahme der sogenannten "Dänemark-Flüchtlinge", einer relativ kleinen Zahl von ost- und westpreußischen Zivilisten, die Anfang 1945 vor der heranrückenden sowjetischen Front in dänische Häfen geflohen waren, versuchte die französische Besatzungsmacht seit Dezember 1946 diese Vorwürfe zu entkräften. An den Forderungen der Amerikaner und der Briten nach einer gerechten Aufteilung der Vertriebenen änderte dies allerdings nichts. Auch die zivilen Verwaltungen der Länder, die besonders stark von der Vertriebenenproblematik belastet waren, versuchten auf die Länder der französischen Zone Einfluß zu nehmen. Erst im Sommer 1949 gaben die Franzosen ihren Widerstand auf und erklärten sich zur Aufnahme von Umsiedlern in die französische Zone bereit. Der wachsende Druck und die Verabschiedung des Grundgesetzes, das in § 116 allen Vertriebenen die deutsche Staatsbürgerschaft zuerkannte, machten eine Lockerung der Abschottungspolitik notwendig.
Auf einer Ministerpräsidetenkonferenz am 5. August 1949 in Wiesbaden wurde die Vertriebenenfrage dementsprechend thematisiert. Der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Peter Altmeier, versuchte seine Kollegen in einem eindringlichen Plädoyer davon zu überzeugen, das sein Land keine zusätzlichen Vertriebenen verkraften könne: "Wenn ich die Frage vom Standpunkt des Landes Rheinland-Pfalz aus beurteile [..] so kann ich nur feststellen, dass wir wohnungs- und arbeitsmäßig zur Zeit keine Möglichkeit hätten, eine so große Zahl von Flüchtlingen aufzunehmen. [...]Wir haben in unserem Land 13 Stadt- und Landkreise, das ist der vierte Teil des Landes, die durch den Krieg zerstört sind. Das ganze Westwallgebiet ist heute eine Wüste. Die Leute, die dort wohnten, wo Hunderte von Gemeinden zerstört sind, wohnen heute zum grossen Teil in Erdlöchern und Viehställen, genau so menschenunwürdig wie die Flüchtlinge in anderen Gebieten."
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Doch diese Bemühungen Altmeiers blieben ohne Erfolg. Seit der Einrichtung des Bundesministeriums für Vertriebene und Flüchtlinge im Herbst 1949 wurde die Umsiedlung von mehreren Hunderttausend Vertriebenen aus den überfüllten Ländern in die französische Zone durch eine übergeordnete Bundesbehörde zügig vorangetrieben.
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Gemäß Bundesverordnung vom 29. November 1949 hatte Rheinland-Pfalz 90 000 Personen aufzunehmen, die aus Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern umgesiedelt wurden. Am 15. April wurden die ersten 439 Umsiedler in Landau begrüßt. Auf der Titelseite der "Rheinpfalz" von diesem Tage heißt der pfälzische Regierungspräsident die Neubürger mit einem Artikel willkommen, die Zeitungen berichteten von der herzlichen und hilfsbereiten Aufnahme der Umsiedler in den einzelnen Gemeinden.
Mit der wachsenden Zahl der Umsiedlertransporte wurden die Unterbringungsprobleme und der Mangel an Arbeitsplätzen allerdings immer deutlicher. Die Umsiedler, die alle in der Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Lage freiwillig nach Rheinland-Pfalz kamen, waren nicht selten
enttäuscht von den Lebensverhältnissen in ihrer neuen Heimat. Die "Westerwälder Zeitung" vom 3. Mai 1950 berichtete: "Die Bevölkerung nahm sich der Flüchtlinge in einer Weise an, die einfach rührend war. Die Wohnungen waren so eingerichtet, dass die Familien gleich den brennnenden Herd fanden, Lebensmittel, Küchengewürze zur Hand in Töpfen, die Töpfe in den Schränken. Kinder brachten mit einem Gruss von der Mutter Butter und Eier, die Flüchtlinge waren des Lobes voll. Und doch packten einige von ihnen sofort nach der Ankunft im kleinen Dorf ihre Habe wieder auf den Wagen und fuhren in den nächstgrösseren Ort oder zum Sitz des Amtsbürgermeisters zurück. Der Grund: sie fanden nicht das vor, was man ihnen im Abgabeland in Schleswig-Holstein versprochen hatte. [...] Warum hat man den Leuten solche Versprechungen gemacht ? Nur um sie loszuwerden ? Das wäre eine Rücksichtslosigkeit sondersgleichen. Der "Erfolg" ist der, dass sich viele Flüchtlinge nun noch mehr als Ausgestossene betrachten [...]."
Zählt man die folgenden Umsiedlungsprogramme hinzu, kamen in den Jahren zwischen 1950 und 1955 insgesamt 126.000 Vertriebene nach Rheinland-Pfalz. Trotz zahlreicher Schwierigkeiten, Proteste und Enttäuschungen, die mit diesem Bevölkerungstransfer einhergingen, verkraftete Rheinland-Pfalz diese plötzliche Bevölkerungszunahme verhältnismäßig gut. Die umgesiedelten Vertriebenen fanden in Rheinland-Pfalz eine neue Heimat und leisteten ihren, in vielen Fällen nicht unwesentlichen Beitrag zur Entwicklung eines modernen Bundeslandes.
Quellen
- LHAKo Bestand 710, Nr. 4538. Ankunft eines Vertriebenentransportes am Bahnhof in Bendorf im Jahre 1950
- LHAKo Bestand 713, Nr. 27. Rheinpfalz 1950
- LHAKo Bestand 860, Nr. 82. Staatskanzlei Rheinland-Pfalz. Flüchtlingswesen.
- LHAKo Bestand 860, Nr. 83. Staatskanzlei Rheinland-Pfalz. Flüchtlingswesen.
- LHAKo Bestand 860, Nr. 84. Staatskanzlei Rheinland-Pfalz. Flüchtlingswesen.
- LHAKo Bestand 930, Nr. 1569. Ministerium für Soziales, Gesundheit und Umwelt Rheinland-Pfalz.
- LHAKo Bestand 930, Nr. 1625. Ministerium für Soziales, Gesundheit und Umwelt Rheinland-Pfalz
Literatur
- E. Lemberg u. F. Edding (Hg.): Die Vertriebenen in Westdeutschland. Ihre Eingliederung und ihr Einfluß auf Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Geistesleben, 3. Bde., Kiel 1959
- A. Munser: Erlebt, verdrängt, nicht vergessen. Die Vertriebenen in der Stadt Landau und im Landkreis Südliche Weinstraße, Landau 1991
- H. Neubach: Aufnahme, Eingliederung und Leistung der Vertriebenen, in: Beiträge zu 50 Jahren Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, hg. v. H.-G. Borck unter Mitarbeit von D. Kerber. Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz, Bd. 73, Koblenz 1997, S. 499-534 (Verlinken)
- R. Schulze, D.v. Brelie-Lewien u. H. Grebing (Hg.): Flüchtlinge und Vertriebene in der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Bilanz der Forschung und Perspektiven für die künftige Forschungsarbeit. Veröffentlichungen der historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 4, Hildesheim 1984
- M. Sommer: Flüchtlinge und Vertriebene in Rheinland-Pfalz. Aufnahme, Unterbringung und Eingliederung. Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 15, Mainz 1990
- W.H. Stein: Vertriebene, Flüchtlinge und andere Zonenfremde in Rheinland- Pfalz, in: Rheinland-Pfalz entsteht. Beiträge zu den Anfängen des landes Rheinland-Pfalz in Koblenz 1945-1951, hg. v. F-J. Heyen. Veröffentlichungen der Kommission des Landtages für die Geschichte des Landes Rheinland-Pfalz, Bd. 5, Boppard 1984, S. 235-260